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ueber "rudi aigelsreiter - das linke und das rechte ganze"  

der stille - die stille - das stille

von Brigitte Lacina

 

Der neu erschienene Katalog zeigt Werke von Rudi Aigelsreiter, die im Zeitraum von 2005 bis 2010 entstanden sind. Nur selten ist Rudi Aigelsreiter bereit, seine Arbeiten einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Dieser Katalog gibt nun erstmals die Möglichkeit, sich einen Überblick über das bildnerische Schaffen dieses vielseitigen Künstlers zu schaffen. Aigelsreiter spricht nur wenig über seine Arbeiten, er überlässt ganz bewusst den Betrachter und der Betrachterin ihren eigenen Interpretationsspielraum. Denn nichts liegt ihm ferner, als den Menschen vorzugeben, was sie zu sehen, denken oder zu empfinden haben.

„Ich liebe die Stille“, sagt Rudi Aigelsreiter und skizziert damit in Kürze und Prägnanz bereits einen wesentlichen Aspekt seiner künstlerischen Arbeiten.

Stille ist notwendig, um die Dinge geschehen zu lassen. Es ist ein Wechsel im Fokus, in der Aufmerksamkeit: weg von dem, das nicht zu hören oder sehen ist, hin zu dem was in der Stille präsent ist, das sich nur entwickeln kann, wenn ihm Platz gegeben wird. In der Stille liegen alle Möglichkeiten, der gesamte Spielraum des Lebens.

Zur Stille gehören auch die leisen Töne, das kaum Sichtbare, die hellen Farben und Schattierungen, welche für die Arbeiten von Aigelsreiter charakteristisch sind. Der Einsatz verwandter Farbtöne, diffuser Halbtöne und Nuancen, die laute Kontraste meiden, ermöglichen eine fast meditative Bildbetrachtung. Helle, transparente Töne bewegen sich dabei im Grenzbereich der An- und Abwesenheit, in dem alles zugleich gegenwärtig ist. Sie sind durchlässig zum Nichts hin und doch erkennbar.

Bereits in seinen frühen Arbeiten, die noch stärker als heute von musikalischen Elementen geprägt waren, nimmt die Idee der Stille ihren Platz als Konzept ein, das sowohl dem Hörbaren als auch dem Sichtbaren zugrunde liegt. So konzipierte Aigelsreiter im Jahr 1978 für den Hörfunk das „Pausenkonzert“, bei dem während einer zehnminütigen Sendepause den ZuhörerInnen ihre eigenen Interpretationsmöglichkeiten offen gelassen wurden. Auch bei den „Leisen Liedern“, die auf you tube abrufbar sind, ist eine hochkonzentrierte Wahrnehmungsebene erforderlich, um die Nuancen der Stille erfassen zu können.

Die intensive Auseinandersetzung mit musikalischen Grundkomponenten wie Tonsystemen, Harmonik, Rhythmik und Klangstrukturen hat in weiterer Folge einen starken Einfluss auf die Malerei, welcher in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk des Künstlers Rudi Aigelsreiter gilt. So finden nicht nur die leisen Klänge der musikalischen Arbeiten in den hellen Farbtönen des bildnerischen Werks ihre Entsprechung, der synästhetische Charakter kommt ebenso in Bildaufbau und Bildkomposition als auch in der Arbeitsweise zum Tragen. Indem Aigelsreiter die gewählten Motive linearisiert und fragmentiert, also auf geometrische Formen reduziert, eröffnet sich die Möglichkeit, die so entstehenden Felder einer Komposition gleich zu behandeln, Höhen und Tiefen im Farbton, Gleichklänge und Dissonanzen zu erzeugen und der Harmonik entsprechend zu einem Ganzen zusammenzufügen.

In einem meditativ zu benennenden Arbeitsprozess wird Strich für Strich, Fläche für Fläche auf die Leinwand aufgetragen, zunächst bruchstückhaft, sich allmählich immer mehr verdichtend, bis schließlich die porträtierte Person erkennbar wird. Erkennbar jedoch nicht im herkömmlichen Sinn eines Porträts, welches im Allgemeinen danach strebt, neben der Darstellung körperlicher Ähnlichkeit auch das Wesen und den Charakter der porträtierten Person darzustellen. Denn genau das ist nicht das Anliegen von Rudi Aigelsreiter. Vielmehr geht es ihm um eine Art Befreiung, um eine Luftzuführung für die abgebildete Person: Sie aus dem Käfig des Lebens herausholen, ihr Entfaltungsraum geben durch die Minimierung aller Äußerlichkeit. Er zwängt die Porträtierten nicht in einen Rahmen ein, sondern lässt sie über den Rand der Bildoberfläche hinauswachsen und erweitert somit metaphorisch ihren Möglichkeitsraum ins Grenzenlose.

Um diesen Prozess der Erweiterung und Loslösung zu versinnbildlichen und Ausdruck zu verleihen, wählt Aigelsreiter die Form des Diptychons, wobei die linke Bildhälfte durch eine zunehmende Reduktion geprägt ist – eine Reduktion bis fast ins Nichts, das schlussendlich Alles bedeutet. Die rechte Bildhälfte hingegen zeigt noch deutlich die Ausformung des realen Lebens, das dargestellte Motiv ist aus der Distanz heraus räumlich-plastisch klar identifizierbar, während es aus der Nähe betrachtet -fragmentarisch zerlegt- bereits von der Realität losgelöst erscheint. Die Zusammengehörigkeit von linker und rechter Bildhälfte bleibt dabei klar ersichtlich, wenn man sich gedanklich in den reduktiven Prozess hinein begibt.

In einer Zeit, in der das Laute, Aufgeregte und Schrille dominiert und oftmals mit Leben verwechselt wird, konzentriert sich Aigelsreiter in der ihm eigenen Form des Zurücknehmens auf das Eigentliche, man könnte fast sagen auf das Immerwährende.

Dieses konsequente Streben nach formaler und farblicher Reduktion kann als eine schrittweise Annäherung an das Absolute, an das Vollkommene gedeutet werden.